Quelle: konzeptblog
Autor: jowe
For my english speaking visitors: You will find an English version of this blog post under 50 years Logo Memo No. 3
Nach meiner Verrentung habe ich meine Arbeitsgebiete Unterichtstechnologie und Mediendidaktik nur noch sporadisch in Publikationen, Projektbeschreibungen oder Stellungnahmen verfolgt. Meine neuen Interessen hatten Priorität (Digital Art, Opticals). Aber das vor kurzem erschienene Buch Twenty Things to Do with a Computer Forward 50 habe ich dann doch gleich bestellt und gelesen. Es hat mich interessiert, weil „Dieses Buch versammelt Dutzende der kreativsten Lehrer, Wissenschaftler, Verwaltungsangestellten, Aktivisten und Entwickler der Welt, um über die Auswirkungen von Zwanzig Dinge nachzudenken und die Weisheit von Solomon und Papert zu nutzen, um die Zukunft der Bildung voranzutreiben.“ (Übersetzung JW)
Der Herausgeber Gary Stager nimmt das Erscheinen des Reports von Seymour Papert und Cynthia Solomon Twenty Things to Do with a Computer (Logo Memo No. 3) im Juni 1971 – also vor 50 Jahren – zum Anlass, mit Dutzenden Mitstreitern die darin formulierten Ansätze zu reflektieren, ihre Implementation zu bewerten und Folgerungen für die Zukunft des Lernens zu ziehen (so jedenfalls Stager in der Einleitung).
Wenn in dem Buch von Paperts konstruktionistischem Ansatz und von der Programmiersprache Logo (an deren Entwicklung Cynthia Solomon großen Anteil hatte) gesprochen wird, dann ist es inzwischen nötig, den Kontext kurz zu rekonstruieren, denn für viele heutige Leser dürften die Namen und Konzepte nicht unbedingt präsent sein. Der konstruktionistische Ansatz verbindet reformpädagogische Ideen zum selbstbestimmten Lernen und zur Partizipation mit lerntheoretischen Überlegungen. Er basiert auf dem Konstruktivismus nach Jean Piaget (Papert arbeitete etliche Jahre bei Piaget), es wird aber ein deutlich stärkerer Akzent auf das kreative Handeln im Sinne der Konstruktion von Dingen gelegt. Das Produzieren von Dingen (Artefakten) unterstützt die selbstständige Auseinandersetzung mit Problemstellungen und deren Verstehen. Das Lernen ist dabei eingebettet in den situativen Kontext und fördert die Diskussion und Bewertung in der Gruppe. Zum Verständnis dieses Ansatzes ist Paperts Buch Mindstorms eigentlich unentbehrlich.
Ich hatte schon kurz nach meinem beruflichen Einstieg Mitte der 70er Jahre Paperts Ansatz und die Programmiersprache Logo kennen gelernt (u.a. angeregt von einer Darstellung in dem Herausgeberband Computer im Unterricht mit Verweis auf die LOGO Memos des MIT AI Lab, an die ich damals nach postalischer Anforderung gelangte). Seit ich ab 1981 selber mit Logo auf dem Apple ][ arbeiten konnte, habe ich diese Programmiersprache und Paperts Ansatz als Anwender, Lehrer und Lehrerfortbildner immer wieder praktiziert – und für meine aktuellen Arbeiten zur Codierten Kunst verwende ich den Logo-Nachloger Snap!. Viel gelernt habe ich dabei von der deutschen Logogruppe um Herbert Löthe und Ulrich Hoppe (Ludwigsburg), sowie Jochen Ziegenbalg (Reutlingen/Karlsruhe). Ehrlich gesagt haben deren und meine Bemühungen keinen Erfolg gehabt, Logo und den Papertschen Ansatz dauerhaft zu etablieren. Auch die modernen Logo-Varianten Scratch und Snap! führen im schulischen Kontext heute eher ein Schattendasein. Deshalb habe ich mir von dem Buch Twenty Things … Impulse erwartet, wie heute in einem veränderten schulischen und gesellschaftlichen Umfeld, Paperts Ansatz vielleicht besser zum Tragen kommen kann. Leider ist davon nicht allzu viel zu finden.
Im Logo Memo No. 3 Twenty Things to do with a Computer skizzieren Papert und Solomon zwanzig Projekte, um in diesem Sinne „introduce everyone of whatever age and whatever level of academic performance, to programming, to more general knowledge of computation and indeed to mathematics, to physics and to all formal subjects (..).“ Für Gary Stager ist dieses Memo „a revolutionary document that set the course of education for the next fifty years and beyond. (…) its impact is all around us. In 1971 Solomon and Papert predicted 1:1 personal computing, the maker movement, children programming computers, robotic construction kits, computer science for all, and integrating computing across the curriculum.“ (S.1)
Diese ziemlich überschwängliche Einleitung prägt auch den Charakter vieler Beiträge. Sie stammen überwiegend von Wegbegleitern Paperts und Solomons, die über ihre damaligen Aktivitäten und die dabei gemachten Erfahrungen berichten. Sie lesen sich oft wie Berichte aus der guten alten Zeit und lassen eine kritische Bewertung der Erfahrungen und Lehren für heute und die Zukunft meist vermissen. Stand heute ist doch, dass zwar in Projekten der Maker Bewegung oder Initiativen wie Coding Kids, Hacker School oder Code it! sich zentrale Aspekte des Konstruktionismus finden lassen. Diese Projekte sind aber wohl überwiegend ohne dessen Kenntnis und jedenfalls ohne Bezug darauf entstanden. Eher sind sie Ausdruck für die heute tatsächlich gegebene Verfügbarkeit von Rechnern, Internet, Robotern und anderen ansteuerbaren Geräten für alle. Nach wie vor finden solche Projekte aber überwiegend außerhalb schulischer Curricula ihren Platz.
Die langjährigen zähen Bemühungen, dem Stellenwert der Digitalisierung in der Schule Rechnung zu tragen, führen ja nur langsam zur Aufnahme informatischer Konzepte in schulische Curricula, sei es als Fach Informatik (siehe die Beiträge unter #PflichtfachInformatik) oder integriert in die Fächer (etwa mein Beitrag Kunst Codieren Lernen beim forum.bildungbw). Dass grundlegende Überlegungen dazu schon seit 50 Jahren vorliegen wird durch das Buch verdeutlicht. Für die Arbeit im heutigen Umfeld bietet es allerdings nur eingeschränkt Hilfe.